Lange Zeit war es in der Musikstadt Leipzig recht still um Carl Reinecke, den Komponisten, Pianisten, langjährigen Gewandhauskapellmeister, Lehrer am Konservatorium sowie Gutachter und Berater beim Musikverlag Breitkopf & Härtel. Woran es auch immer lag – an seiner eher zurückhaltenden und bescheidenen Wesensart oder an der in späteren Lebensjahren zunehmenden Kritik an seiner Musikauffassung, die schließlich zur schmerzlichen Abberufung als Gewandhauskapellmeister führte -, jedenfalls wurde Reinecke trotz seiner beachtlichen Leistungen für das Leipziger Musikleben schon bald nach seinem Tod 1910 nahezu vergessen.
Seit einigen Jahren jedoch gibt es engagierte Bemühungen, den einst prominenten Universalmusiker wieder ins Leipziger Bewusstsein zurückzuholen und angemessen zu würdigen. Reineckes 200. Geburtstag am 23. Juni 2024 fördert diesen Prozess.
Geboren wurde Carl Reinecke in Altona, erhielt schon frühzeitig Musikunterricht, trat bereits 1835 als Pianist auf und ging auf Konzertreisen durch Europa. Es folgte ein dreijähriger Studienaufenthalt in Leipzig, wo er Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann kennenlernte. 1847/48 wirkte er als Hofpianist des dänischen Königs, ab 1851 unterrichtete er am Kölner Konservatorium für Musik, ab 1854 folgten Anstellungen als Musikdirektor in Barmen und Breslau. Von 1860 bis 1895 war Reinecke als Gewandhauskapellmeister in Leipzig tätig, und seitdem hat keiner dieses Amt länger bekleidet als er. In seine Amtszeit fiel der Bau und die Einweihung des Neuen Gewandhauses im Musikviertel 1884. Bis 1902 lehrte er Komposition am Leipziger Konservatorium.
Reinecke verehrte vor allem die Komponisten Mozart und Beethoven, betrachtete Mendelssohn und Schumann als seine Vorbilder, verstand sich selbst als Bewahrer der Romantik. Musikalischen Entwicklungen nach 1850 aber begegnete er mit Skepsis. Das brachte ihm den Ruf eines besonders konservativen Musikers ein, der das Leipziger Musikleben eher gehemmt als gefördert habe.
Dieses einseitige Bild soll nun mit einem gemeinsamen Forschungsprojekt von Universität und Musikhochschule, das Carl Reinecke als eine Schlüsselfigur des Leipziger Musikbetriebes im späten 19. Jahrhundert untersucht, differenziert werden.
Ein 2017 eröffnetes privates Carl-Reinecke-Museum sowie die 2021 ins Leben gerufene Carl-Reinecke-Gesellschaft Leipzig widmen sich ebenso der weiteren Erforschung von Reineckes Leben sowie der Pflege und Förderung seiner Musik. Diese Musik erklingt im Jahr des 200. Geburtstages Reineckes natürlich auch im Gewandhaus, der einstigen Wirkungsstätte des Musikers.
Dagmar Schäfer
Wirkungsstätte Carl Reineckes: das Neue Gewandhaus im Musikviertel mit dem Konzertsaal (1944 schwer beschädigt, 1968 gesprengt).
Abb.: Archiv der Autorin