Der Schneider Heinrich Klemm legte mit seiner wertvollen druckgeschichtlichen Sammlung den Grundstock des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig.
Vor 200 Jahren, am 19. September 1819, wurde er als Sohn eines Dorfschneiders bei Dresden geboren. Klemms Biografie ist aufsehenerregend und sonderbar zugleich:
Er arbeitete sich vom Waisenkind zum Großunternehmer empor, beherrschte über viele Jahre hinweg die Modebranche in Deutschland – und war zugleich ein außergewöhnlicher Bücherliebhaber.
Erstes Resultat des unternehmerischen Elans Heinrich Klemms wurde ein „Zeicheninstitut für Kleidermacher“, das er 1844 gemeinsam mit Bruder Carl in Leipzig eröffnete; in seinem 1850 gegründeten Verlag gab Klemm vor allem Fachbücher zum Schneiderhandwerk sowie Modenzeitschriften heraus, mit denen er beträchtliche Einkünfte erzielte. Nun konnte er sich seinem eigentlichen Interessengebiet widmen: dem Sammeln von Büchern. Klemm wandte fast eine halbe Million Mark auf, um mittelalterliche Handschriften und Wiegendrucke sowie die ersten Druckerzeugnisse aus möglichst vielen Druckorten zu erwerben, insgesamt mehrere tausend Werke. Er nannte seine Sammlung „Klemm’s bibliographisches Museum“. Kostbarstes Stück war das 1878 erworbene Pergamentexemplar der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel, die als erste bedeutende Inkunabel der Frühdruckzeit gilt.
Gegen Ende seines Lebens bot Klemm die Sammlung zum Preis von 400 000 Mark der sächsischen Regierung an, die auf den Vorschlag einging, so dass die Klemm-Sammlung 1886 dem neugegründeten Buchgewerbemuseum in Leipzig übereignet werden konnte. Am 28. November 1886 starb Heinrich Klemm.
Bis zum Zweiten Weltkrieg wuchs die Klemm-Sammlung auf rund 4440 Bände an, darunter 752 Inkunabeln. 1944 wurden die Kostbarkeiten der Sammlung ins Schloss Rauenstein in Lengefeld im Erzgebirge ausgelagert, darunter die Gutenberg-Bibel, und nach Kriegsende als so genannte Trophäenliteratur von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und in die Staatsbibliothek Moskau überführt.
Die Eingliederung des Buchmuseums in die Deutsche Bücherei im Jahr 1950 sicherte dessen Fortbestehen, nun als Deutsches Buch- und Schriftmuseum. Über die Rückführung der beschlagnahmten Bestände gab es in den Fünfzigerjahren Verhandlungen, dann wieder seit 1992.
Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig gilt als weltweit ältestes Museum auf dem Gebiet der Buchkultur. Unter den knapp einer Million Objekten zur Papier- und Buchgeschichte nimmt die Sammlung des Schneiders und Büchersammlers Heinrich Klemm nach wie vor eine exponierte Stellung ein.
Dagmar Schäfer
Das 1898/99 errichtete Buchgewerbehaus im Grafischen Viertel von Leipzig beherbergte bis zu seiner Zerstörung 1943 das Deutsche Buchgewerbemuseum.
Abb.: Autoren-Archiv