Meeressehnsucht an der Alten Elster: Joachim Ringelnatz

Der Dichter, Kabarettist und Maler Joachim Ringelnatz war erst 51 Jahre alt, als er vor 90 Jahren am 17. November 1934 starb. Ein äußerst bewegtes, mitunter turbulentes Leben lag hinter ihm. Begonnen hatte es am 7. August 1883 in Wurzen, wo er als Hans Bötticher in die Familie des Musterzeichners und Schriftstellers Georg Bötticher hineingeboren wurde.

Die entscheidenden Kindheitseindrücke sammelte Bötticher jedoch nicht an der Mulde, sondern an der Alten Elster in Leipzig, wohin die Familie 1887 zog und Vater Georg – er war zeitweise Herausgeber von „Auerbachs Deutschem Kinderkalender“ – eine angesehene Rolle im literarischen Leben der Stadt spielte. „An der Elster war ein Anlegeplatz für den einzigen Vergnügungsdampfer von Leipzig“, erinnerte sich Ringelnatz später. „Auf diesem Dampfer mitzureisen war höchste Wonne. Ich fühlte mich sehr seemännisch, wenn ich zur Abfahrt die Schiffsglocke schlagen durfte.“

In der „Seestadt“ Leipzig reifte die Sehnsucht des jungen Mannes nach der Seefahrt. „Und ich ging zur See“, schreibt er in seiner Autobiographie, am 1. April 1901 schiffte er sich im Hamburger Hafen ein. Zwei Jahre später endete die Seemannslaufbahn wegen mangelnder Sehschärfe. Doch die Sehnsucht nach dem Meer blieb.
1908 entdeckte Bötticher in München die „Simplicissimus-Künstlerkneipe“, einen Treffpunkt der Münchner Boheme. Seine künstlerische Laufbahn begann. Ab 1919 wurde er ein reisender Vortragskünstler, trat unter dem Pseudonym „Ringelnatz“ auf. „Ringelnatz ist nicht, wie man glauben möchte, das Männchen der Ringelnatter“, sinnierte der Wiener Kritiker Alfred Polgar über das Pseudonym. „Ringelnatz ist ein Natz, der sich ringelt. Damit gar keine Verwechslungen möglich sind, heißt er außerdem Joachim. Was aber ist ein Natz? Das weiß niemand, außer er selbst.“ Mit der Kunstfigur des Matrosen Kuttel Daddeldu wurde Ringelnatz einer der beliebtesten Kabarettisten der Weimarer Republik. Seine Gedichtbände erschienen und bekamen gute Kritiken. Doch das ständige Reisen wurde Ringelnatz zur Qual, schon 1928 klagte er, dass er des Tingelns müde sei.
Seit 1923 war Joachim Ringelnatz auch als Maler erfolgreich. Noch im März/April 1933 hatte er eine Ausstellung seiner Bilder in Leipzig. Dann aber wurde seine Vortragstätigkeit verboten, bereits ausverkaufte Veranstaltungen wurden abgesetzt, seine Bücher beschlagnahmt und verbrannt.

Ringelnatz verstummte. Noch einmal durfte er zu einem Gastspiel in die Schweiz reisen, kehrte im Februar 1934 todkrank nach Berlin zurück.
„Und was unsern eignen Kreis betrifft“, hatte Kurt Tucholsky wenige Jahre zuvor geschrieben, „so gibt es mitnichten so viele Dichter. Ringelnatz aber ist einer.“
Weltbühnen-Autor Alfred Polgar ergänzte: „Dieser unvergleichliche Ringelnatz hat den Stein der Narren entdeckt …, welcher dem Stein der Weisen zum Verwechseln ähnlich sieht.“

Wo einst die Alte Elster floss, erstreckt sich heute eine Lindenallee.
(Einklinker) Die Tafel an der Rückseite des Alten Rathauses erinnert an Georg Bötticher, den Vater von Joachim Ringelnatz.
Text | Fotos: Dagmar Schäfer