Kroküsschen

Jedes Jahr begleitet uns beim ersten Gang in den Garten neben Vorfreude auch eine leichte Aufregung. Was steht diesmal an? Bei frühsommerlichen 16°C brechen wir gen Kleingarten auf. Schon beim Passieren der ersten Parzellen bemerken wir: Es geht wieder los. Alle Welt kommt aus ihren geschützten Heimen gekrochen. Ein Gemisch aus Bratwurstdunst, Kinderlachen und Kettensägen schwebt uns entgegen. Die Vögel balzen um die Wette. Doch auch unerwartete Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten: Ein Blechmonster hatte mit unserem Lattenzaun gekuschelt. Vor dem Gartentor wurden netterweise kleine Hundehäufchen abgelegt. Das Dach der Gartenlaube war undicht und noch obendrein war jemandem die Mülltonne bis in unseren Garten hinein übergelaufen. Vom Gemüsebeet her flüstert es Arbeit.
Meine Tochter steht derweil mitten in einem endlos großen Teppich aus Krokussen und kommt aus dem Staunen nicht heraus. In solchen Momenten möchte ich gern wieder ein kleines Kind sein und mich einfach unbekümmert an den vielen kleinen Wundern erfreuen. Die fleißigen Bienen, der Duft und die kräftigen Farben – für sie ist das der Frühling.
Das Stück Land ist einem gegeben. Was man daraus macht, ist jedem selbst überlassen. Wenn man nur noch die Arbeit und nicht mehr das Schöne sieht, dann ist allerhöchste Zeit für einen Perspektivwechsel.
So ist der Saisonauftakt reich an Sinneseindrücken und es ist eigentlich verwunderlich, dass ich kaum mehr registriere, wenn die Sonne auf der Nase kitzelt oder die Schneeglöckchen läuten.
Bevor ich ernsthaft traurig werde, setze ich mich ins Blütenmeer zu meiner Tochter und begutachte den ersten Regenwurm des Jahres. Das tut gut. Ich gebe meiner Tochter dankend einen Krokus(s) auf die Wange und mache mich frisch ans Werk.

Theodor Jähkel