Industriegeschichte im Leipziger Westen

Die Leipziger Trikotagenfabrik AG – Teil 2

Während des zweiten Weltkriegs gilt die Trikotagenfabrik als „Wehrwirtschaftsbetrieb“. Die Unterwäscheproduktion läuft nach 1945 weiter, Abnehmer ist nun das russische Militär. Mit dem Jahr 1954 erfolgt der erste von zahlreichen Umbrüchen der Nachkriegszeit: Das Privatunternehmen der Familie Obst wird in eine Kommanditgesellschaft mit staatlicher Beteiligung umgewandelt, die bisherigen Vorstandsmitglieder bleiben ‚Komplementäre‘.

Die Trikotagenfabrik während der Leerstandsphase.

In den 1950er Jahren gibt es in Deutschland noch ungefähr 800 Wirkerei- und Strickereibetriebe, sehr viele davon in der Gegend um Chemnitz. Die Kombinatsbildung führt nach und nach zu einer Zusammenlegung vieler dieser zum Teil sehr kleinen Fabriken. Auch die Trikotagenfabrik wird schließlich im Jahr 1972 verstaatlicht, nachdem die Komplementäre dazu gedrängt wurden, ihre Anteile zu verkaufen. Dem ’neuen‘ VEB Leipziger Trikotagen werden im Jahr 1982 weitere Betriebsteile in Rosswein und Leipzig zugeordnet; im Leipziger Kombinatsteil arbeiten etwa 200 Personen.
Wurde zunächst noch alles produziert, was möglich war, begann seit Ende der 1960er Jahre ein Rationalisierungsprozess. Es wurden nur noch Untertrikotagen für Frauen hergestellt. Dazu kamen Staatsaufträge zur Ausrüstung von Sportverbänden, beispielsweise anlässlich von Sportfesten. In der Trikotagenfabrik lief der komplette Herstellungsprozess ab – von der Stoffherstellung bis zur Verpackung der Endprodukte; ein Weitertransport an andere Standorte war also nicht erforderlich.
Dass die Trikotagenfabrik bis zum Ende der DDR ein relativ wichtiger Textilproduzent war, zeigt die Tatsache, dass noch 1988/89 ein Projekt für einen neuen Betrieb verfolgt und neue Maschinen beschafft wurden. Produziert wurden 1989 noch gut 4,8 Mio. Stück alleine an Untertrikotagen.
Auf die Reprivatisierung nach der Wende folgte schon 1991 die Liquidierung des Unternehmens – die Leipziger Trikotagen GmbH war nicht mehr konkurrenzfähig, weil alle bekannteren Hersteller der Branche damals bereits im Ausland zu wesentlich geringeren Kosten produzierten.
Bis zur Betriebseinstellung befand sich auf dem Gelände außer dem Hauptgebäude und dem heute nicht mehr vorhandenen Vorderhaus an der Lützner Straße noch ein Kesselhaus mit Schornstein sowie ein Garnlager mit Kranbahn. Die ehemaligen, zur Demmeringstraße hin gelegenen Luftschutzräume wurden später zur Kompressorenstation. Außerdem gab es hier eine Kegelbahn, die auch von „Betriebsfremden“ genutzt werden durfte und sich beispielsweise bei Feuerwehr, Messepublikum oder für Familienfeiern großer Beliebtheit erfreute. Und in den Kellerräumen durfte die Leipziger Band „Break“ ihre Proben abhalten.
Für die vorhandene Bausubstanz zeichnete sich schnell eine neue Nutzung ab. 1992 gab es eine Planung für einen Gebäudekomplex mit Büros, Gewerbe- und Ladenflächen, Wohnungen und Hochgarage. Das Projekt mit dem Namen „Lindenauer Büro- und Dienstleistungscenter“ kam letztlich nicht zustande, die Grundstücke wurden verkauft. Auch das etwa 2007 gestartete Projekt für ein Altenpflegeheim und einen Einzelhandelsstandort, für das die Trikotagenfabik abgerissen worden wäre, kam nicht zustande. Seit einigen Jahren gibt es nun einen neuen Eigentümer, der die Gebäude sorgfältig saniert hat und sie wieder einer gewerblichen Nutzung zuführen wird.

Für ein ausführliches Gespräch zur Geschichte der Trikotagenfabrik danken wir besonders Herrn Christian Obst, dem letzten Betriebsdirektor und Geschäftsführer des Betriebes. Einige früher mit ihm geführte Interviews können Sie auf der Seite https://schichtwechselleipzig.wordpress.com nachlesen.
„Schichtwechsel“ ist ein Projekt, das Zeitzeug_innen, die in den Fabriken in Plagwitz, Lindenau, Klein- und Großzschocher gearbeitet haben, zu Wort kommen lässt.

Teil 1 der Geschichte der Trikotagenfabrik wurde im Ortsblatt 01/2020 veröffentlicht.

Die Trikotagenfabrik während der Leerstandsphase.

Heutiger Zustand nach der Sanierung.
Fotos: Heiko Müller