Gutes aus der (Film)Backstube. Oder:

Erinnerungen an den Reudnitzer Bäckermeister Manfred Seifert (1939-2018)

„In dieser Backstube werden Sie gefilmt!“ warnte scherzhaft einstmals eine Zeitung die Kunden des passionierten Filmamateurs und hauptberuflichen Bäckermeisters Manfred Seifert aus Leipzig-Reudnitz.
Der am 19. Januar 1939 in Leipzig geborene Manfred Seifert erlernte den Beruf des Bäckers und Konditors, wurde Meister und stieg 1968 in das väterliche Geschäft ein. Die bewegten Bilder zogen ihn jedoch schon immer magisch an. Zuschauen reichte ihm bald nicht mehr. Selbst filmen, das war sein Traum. So kratzte er jeden Pfennig zusammen und kaufte sich 1957 für fast 300 DDR-Mark seine erste Kamera. Den dazugehörigen Projektor für 600 Mark ‚stotterte‘ er in Raten ab.
Das Abenteuer Film konnte beginnen, zuerst ein paar Familienfilmchen, dann ein paar Urlaubsfilme und sein erster Dokumentarfilm beschäftigte sich mit der Zubereitung eines Flechtgebäcks.
Eines Tages las er einen Aufruf in der „Wochenpost“, der auflagenstärksten Wochenzeitung der DDR, in dem Bruno Böttge (1925-1981) Filmregisseur und Nestor auf dem Gebiet der Silhouetten-Animation ins Dresdner
DEFA-Studio einlud. Nach einem Infobesuch und ermutigt durch des Meisters Rat, begann Manfred Seifert sich für Silhouetten Trickfilme zu interessieren.

Montag für Montag (zu DDR-Zeiten bäckerfreier Tag) schrieb er Drehbücher und entwickelte Stoffe für Kurzgeschichten: Ein bisschen sächsisch, ein bisschen ironisch, ein bisschen provokativ. So entstanden in der Folge kleine (Kunst) Werke, die – wie alle seine weiteren Filme auch – ausschließlich in der Freizeit als
Hobbyarbeiten entstanden. Es sollen insgesamt über einhundert Filme werden, von denen sich einige im Sächsischen Staatsarchiv befinden.
Besonders hervorheben möchte ich drei Silhouetten-Animationen: Ein witziges Männchen räumt bei sich daheim auf und möchte den Abfall wegschaffen. Weil der Weg zu weit ist, wird unterwegs im Fluss entsorgt. Wenig später angelt der Umweltsünder dort und fängt einen Fisch. Stolz bringt er ihn nach Hause. Aber beim Zubereiten explodiert er … Der Schattenfilm Kreislauf spielt nicht etwa im Jahr 2024 vor dem Hintergrund der beängstigenden Vermüllung der Meere und Plastik in Fischen. Nein, er entstand schon 1981. Der Film Panne (1983) zeigt humorvoll, wie ein Parkverbot umgangen werden kann. Und das Filmchen Tünche aus dem Jahr 1987 thematisiert die nicht tabufreie Problematik der Umweltverschmutzung – aktueller denn je!

Nach der Wende konzentriert sich Bäckermeister Seifert wieder auf die Dok-Filme, weil die Silhouetten-Filme zu zeitaufwendig sind und der Montag als bäckerfreier Tag wegfiel. So schuf er mit ISRAEL schalom? (2000) mehr als bloß einen Reisebericht und begleitete in Ein Dorf stirbt, aber sein Herz schlägt (2008) die Folgen des Tagebaus im Leipziger Umland.
Anfang Oktober 2024 teilte mir Jörg Herrmann (*1941), einer der letzten aktiven Silhouettenfilmer mit: „Ja, ich war mit Manfred Seifert und seiner Familie befreundet. Angefangen hat es im DEFA-Trickfilmstudio. Dort hat Manfred immer seine neuesten Arbeiten der Abteilung Silhouette (Böttge) vorgestellt. Nach dem Tod von Bruno J. Böttge war ich sein ausschließlicher Gesprächspartner. „Als ich mich 1983 selbständig gemacht habe, kam er oft in mein Atelier nach Kreischa, um Vorhaben zu besprechen und Fragen zu stellen.“

Sohn Lars lernte auch das Bäckerhandwerk und half oft bei den Dreharbeiten mit. „Wir waren ein gutes Gespann“, sinniert er. Er übernahm 2004 die Bäckerei. Sein Vater drehte bis zu seinem Tod weiter Filme, von denen einige heute ein wertvolles Stück Zeitgeschichte sind. Im Jahr 2018 starb Manfred Seifert mit 79 Jahren an Krebs. Zuvor übergab er seinen einzigartigen Filmschatz dem Sächsischen Staatsarchiv. Geblieben sind die vielen Urkunden und Medaillen, die heute noch im Traditionszimmer der Bäckerei an den unvergessenen Filmbäcker von Leipzig erinnern.
Sohn, Lars Seifert, ist stolz auf seinen Vater Manfred, der als Filmbäcker Anerkennung, Wertschätzung und eine gewisse Berühmtheit erlangte.

Text: Jens Rübner

Lars Seifert 2019 in der Feinbäckerei Seifert in der Husemann-Straße 1 mit einem Foto seines Vaters.
Foto: Picture Point / Kerstin Dölitzsch