Der Leipziger Markt war Schauplatz der öffentlichen Hinrichtung Woyzecks am 27. August 1824.

Ein Mord sorgte im Juni 1821 für großes Aufsehen weit über die Stadtgrenzen hinaus: Der 41-jährige Leipziger Soldat und Perückenmacher Johann Christian Woyzeck hatte seine Freundin Johanna Christiane Woost erstochen. Woyzeck war arbeitslos, trank und wurde eifersüchtig, wenn sich Woost, was häufig vorkam, anderen Männern zuwandte. Dann schlug er sie, aber beide hielten doch an ihrer Beziehung fest. Als Woost zu einer Verabredung nicht erschien, eskalierte die Situation: Woyzeck ermordete die Frau vor ihrem Haus in der Sandgasse (heute Seeburgstraße).
Vor Gericht gab Woyzeck an, ihm sei der Mord von einer Stimme befohlen worden, so dass sein Verteidiger auf Unzurechnungsfähigkeit plädierte. Doch der Gerichtsmediziner Prof. Dr. Johann Christian Clarus erklärte, dass Woyzeck zur Tatzeit ein klardenkender Mensch gewesen sei. Das Gericht verurteilte den Täter daraufhin im Februar 1822 zum Tode. Da die Zweifel an Woyzecks Zurechnungsfähigkeit jedoch anhielten, wurde ein neues Gutachten erstellt – wieder von Prof. Clarus, der an seiner Meinung festhielt.
Vor 200 Jahren, am 27. August 1824, wurde das Todesurteil vollstreckt. Tausende Schaulustige kamen auf den Markt, um bei der öffentlichen Hinrichtung dabei zu sein. Der Leipziger Lehrer und Organist Ernst Gebhard Salomon Anschütz war Augenzeuge und sparte in seinem Bericht nicht mit grausigen Details. Vor Ort konnte er sein, weil an diesem Tag schulfrei(!) war.
Einige Jahre später befasste sich Georg Büchner, Arzt, Rebell und einer der kühnsten deutschen Literaten, mit der juristisch-medizinischen Debatte über die Schuldfähigkeit Woyzecks. Er entwickelte daraus 1836 sein Dramenfragment „Woyzeck“, eines der bis heute meistgespielten Stücke der deutschen Literatur und auch im Leipziger Schauspiel zu sehen.
Mit Woyzeck ließ Büchner erstmals einen sozial Benachteiligten als Hauptfigur im Drama auftreten, zeigte all die Überforderungen und Demütigungen, denen er ausgesetzt war und stellte die Frage, inwieweit Menschen überhaupt frei entscheiden können. Wie mit dem Skalpell legte Büchner Schicht um Schicht Woyzecks gewaltbereites soziales Umfeld frei, das ihn herumkommandierte, ausnutzte, verlachte und zum Mord anstachelte. Schonungslos entlarvte der Autor verlogene gesellschaftliche Konventionen, die zwangsläufig in die Katastrophe führten.
Georg Büchner, der 1837 mit nur 23 Jahren an Typhus starb, zeigt mit Woyzeck und seiner Freundin Marie zwei Menschen, die von der Gesellschaft erst an den Rand getrieben und dann in den Abgrund gestürzt wurden.

Tipp: Noch bis zum 4. September zeigt die Schaubühne Lindenfels auf dem Leipziger Markt das „Woyzeck-Schafott 2024“ – eine Installation, die mit dem Titel „Hab keine Angst“ vor allem unterdrückten Frauen eine Stimme geben soll.
Mehr Informationen: www.schaubuehne.com

Der Leipziger Markt war Schauplatz der öffentlichen Hinrichtung Woyzecks am 27. August 1824.
Text | Foto: Dagmar Schäfer