Bildchronist der Völkerschlacht

Gegen Ende des Jahres 1792 bat der aus Berlin stammende Naturforscher Peter Simon Pallas die Zarin Katharina II. um Erlaubnis, eine Forschungsreise nach Südrussland und auf die Krim unternehmen zu dürfen. Um seine Sammlung von Pflanzenzeichnungen zu ergänzen, werde er „einen geschickten Zeichner, Herrn C. G. H. Geissler aus Leipzig“ mitnehmen und zu weiteren nützlichen Beobachtungen anstellen.

Christian Gottfried Heinrich Geißler


Katharina genehmigte die Expedition und so verließen Pallas und Geißler am 1. Februar 1793 St. Petersburg, durchreisten Teile des Wolga-Deltas, des Nordkaukasus und der Südukraine und erreichten am 30. Oktober ihr Reiseziel Simferopol auf der Krim. In Auswertung der Krimreise erschien 1799 und 1801 in Leipzig bei Martini (dem Schwager Geißlers) der zweibändige Reisebericht „Bemerkungen auf einer Reise in die südlichen Statthalterschaften des Russischen Reiches in den Jahren 1793 – 1794“ mit den detailreichen kolorierten Zeichnungen und Vignetten Geißlers.
Christian Gottfried Heinrich Geißler wurde vor 250 Jahren am 26. Juni 1770 in Leipzig als Sohn eines Goldschmiedes geboren. Mit vierzehn Jahren besuchte er die von Adam Friedrich Oeser geleitete „Zeichnungs-, Mahlerey- und Architektur-Academie“ auf der Pleißenburg. Sein Hauptlehrer wurde Johann Salomon Richter, der von der Dresdener Kunstakademie nach Leipzig gekommen war und 1791 die „Leipziger Nationaltrachten“ veröffentlichte. 1790 siedelte der erst 20-jährige Geißler nach St. Petersburg über, um als Zeichenlehrer zu arbeiten. Dort kam er in Kontakt mit Peter Simon Pallas, dem er sich durch seine 1791 veröffentlichten „Petersburger Nationaltrachten“ empfahl. Die Ähnlichkeiten zu den volkstümlichen Motiven seines Leipziger Lehrers Richter liegen auf der Hand – und blieben auch für sein weiteres Schaffen bestimmend.

Ende 1798 nach Leipzig zurückgekehrt, schöpfte Geißler seine Motive aus den in Russland gesammelten Eindrücken und illustrierte eine Serie von Büchern über Sitten und Bräuche in Russland. 1804/05 brachte er die bis heute bekannten „Leipziger Meßszenen“ heraus, doch mit dem Einzug der napoleonischen Truppen in Leipzig im Oktober 1806 eröffnete sich ihm ein neuer Themenkreis: Geißler zeichnete die Kriegs- und Soldatenszenen der napoleonischen Zeit und wurde ihr Bildchronist.

Kulturgeschichtlich sehr wertvoll sind Geißlers Bilder der Schlacht bei Leipzig, deren Augenzeuge er vom 16. bis 19. Oktober 1813 wurde. Die letzten Kämpfe am Fleischerplatz verfolgte und skizzierte er von seiner Wohnung aus, wobei er sich zum Schutz vor Kugeln in Matratzen gebunden hatte. Nach der Schlacht lief er über das Schlachtfeld und hielt das Gesehene mit dem Zeichenstift in seinem Skizzenbuch fest. Die Vielzahl von Darstellungen zu den Schlachttagen ließen Geißler, der am 27. April 1844 in Leipzig starb, im öffentlichen Bewusstsein zum „Zeichner der Völkerschlacht“ werden.

Dagmar Schäfer
Abb.: Archiv der Autorin

Christian Gottfried Heinrich Geißler: Ansicht des Hallischen Tores zu Leipzig am 20. Oktober 1813, kolorierter Kupferstich 1814.